Perspektive und Werdegang mit einer geistigen Behinderung
Eine geistige Behinderung/kognitive Beeinträchtigung wird hauptsächlich anhand des Intelligenzvermögens sowie der Kompetenz- und lebensfeldorientierte Psychodynamik eines Menschen diagnostiziert. Hierbei wird insbesondere der IQ-Bereich dem entwicklungsentsprechendem Intelligenzalter gegenübergestellt. Anhand dem diagnostizierten Intelligenzvermögen orientiert sich entsprechend der Förderungsbedarf. Zugleich setzt der IQ-Wert den Betroffenen einen Stempel auf, an dem unser Sozialstaat maßgeblich das Leistungs- und Fähigkeitsvermögen der Person misst. Unsere leistungsorientierte Gesellschaft reduziert Betroffene dadurch auf ihre Behinderung/Defizite und missachtet ihre Persönlichkeit. Jeder von uns hat individuelle Stärken sowie Schwächen und verborgene Talente, denen man Raum schenken müsste, damit sie sichtbar werden und Inklusion gelingt. Gesellschaftlich konstruierte Normen, Erwartungen und Behinderungsbilder können uns diskriminieren, uns aus der Gesellschaft exkludieren, uns die Teilhabe am Gesellschaftsleben verwehren und uns in unseren Möglichkeiten einschränken.
Die Persönlichkeitsentwicklung eines jeden von uns wird geprägt durch unsere Herkunft, das soziale Umfeld, eigene wichtige Interessen, Erlebnisse/Erfahrungen, soziale Interaktionen aber ebenso durch zugeschriebene Fremdbilder wie bspw. „Behinderte sind sabbernde Vollidioten“. Unsere Persönlichkeitsentwicklung ist nach Georg Feuser (2010) abhängig von unserem individuellen Möglichkeitsraum. Ein Entscheidungsraum, der durch soziale Interaktionen zwischen Menschen unterschiedlicher Erfahrungen und Ausstattungen symbolischen Kapitals (ökonomisches + soziales + kulturelles Kapital nach Pierre Bourdieu) geprägt wird, die mit unserer Außenwelt in Wechselwirkung stehen und uns entsprechend in unseren Möglichkeiten eischränken oder fördern können.
Der berufliche Werdegang in einer Werkstatt kann für Person A aufgrund individueller Kontextfaktoren die Welt sein und eine Möglichkeit zur Teilhabe am Arbeitsleben. Für Person B mit demselben Behinderungsmerkmal kann eine Werkstatt aber ebenso als Einschränkung der eigenen Person erlebt werden, weil Person B im Gegensatz zu Person A eine andere Ausgangslage hat sowie individuelle Wünsche und Bedürfnisse.
Schlussendlich heißt das, dass eine gelingende Inklusion individuell an der Lebenswelt sowie den Lebensverhältnissen/-umständen eines Menschen ansetzt und trotz demselben Behinderungsmerkmal keiner mit der Lebensgeschichte eines anderen verglichen werden kann.
In Bezug auf meine Lebenswelt heißt es vor allem, dass ich mein sportliches Potential nutzen will und mir eine berufliche Chance im Sportbereich erhoffe - natürlich erst, wenn ich meine Laufkarriere beendet habe. 😊
Machen Werkstätten den Arbeitsmarkt inklusiv?
In Deutschland arbeiten etwa 300.000 Menschen in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM). Sie erbringen Leistungen im Wert von 8 Milliarden Euro für die deutsche Wirtschaft, werden aber nicht als Arbeitnehmer*innen anerkannt. Sie sind “Beschäftigte”, die von Sozialhilfe leben. Es gilt eine gesetzlich vorgesehene Ausnahme, die die Beschäftigten vom Mindestlohn ausschließt – eine der wenigen Ausnahmen dieser Art. Sie arbeiten oft Acht-Stunden-Tage, montieren Autoteile, verschicken Post, gestalten Websites oder verpacken Kaffee.
So kann es außerhalb der Werkstätten funktionieren
Hier könnt ihre meine Geschichte diesbezüglich lesen...
Bewegende Geschichten
Im Hotel
„Das ist ja schön, dass ich Dich mal treffe“, sagt die Mutter DES JUNGEN zu einer anderen Mutter.
„Ich habe gehört, Dein Sohn hat jetzt einen Arbeitsplatz im Hotel bekommen. Das ist ja großartig.“
Auch der Sohn der anderen Mutter hat eine Behinderung.
„Ja, wir freuen uns auch wirklich sehr“, antwortet diese, „es ist ja super schwer, etwas auf dem 1. Arbeitsmarkt zu bekommen. Und gleich drei junge Leute mit Behinderung arbeiten jetzt dort.“
„Ich freue mich wirklich so für ihn“, sagt die Mutter die Jungen. „Er war ja auch schon immer so kommunikativ. Auf Menschen zugehen und sie für sich einnehmen, das kann er wirklich toll. Und so höflich ist er. Er liest den Gästen bestimmt die Wünsche von den Lippen ab!“
„Na ja, nicht so direkt“, erwidert die andere Mutter, „er arbeitet eher hinter den Kulissen. Also, eigentlich arbeitet er nur hinter den Kulissen. Es war dem Geschäftsführer sehr wichtig, dass man die Behinderten dort nicht sieht! Also, dass die Gäste sie nicht sehen.“
25.01.2021
Im Hotel – Zwischen Inklusion und Nixklusion (kirstenmalzwei.de)
Zuerst
DIE MUTTER des Mädchens macht den Garten winterfest.
Dabei hört sie das Gespräch zweier Nachbarinnen mit an.
Die erste sagt: „Na, das mit dem Impfstoff, das wird noch schrecklich!“
„Wie meinst Du das?“, fragt die andere.
„Diese ganzen Diskussionen darum, wer ihn zuerst bekommt. Ich mag mich gar nicht daran erinnern, wie das gerade bei der Grippeimpfung gelaufen ist!“
„Hast Du Deine beiden denn nicht impfen lassen?“, fragt die andere.
„Ich wollte es ja!“
Nun wird die erste Nachbarin laut: „Aber Du glaubst gar nicht, wie ich mit der Sprechstundenhilfe aneinander geraten bin. ‚Wir haben nicht genug Impfdosen‘, hat die gesagt, ‚gegen Grippe geimpft werden zuerst nur die kranken und behinderten Kinder.‘ ‚Na, das ist ja super!‘, habe ich geantwortet, ‚dann sind meine beiden Gymnasiasten weniger wert als die Behinderten??? Sie sind es doch, die Deutschland voranbringen!‘“
28.12.2020
Zuerst – Zwischen Inklusion und Nixklusion (kirstenmalzwei.de)
Wünsche
Die Mutter des JUNGEN MANNES trifft bei einer Veranstaltung zwei andere Mütter. Früher waren sie gemeinsam in einer Selbsthilfegruppe. Während der Junge einen inklusiven Weg gegangen ist, hatten sich die anderen für die Sonderschule entschieden.
Nun sehen sie sich einmal wieder.
„Wie geht es denn so?“, fragt die Mutter, „was machen denn eure Jungs?“
„Die sind zusammen in der Werkstatt für Menschen mit Behinderung“, berichtet die eine Mutter.
„Sie kennen da viele andere, die früher auch auf ihrer Schule waren. Und sie waren dort schon im Praktikum.“
„Ok“, sagt die Mutter, „und gefällt es ihnen dort gut?“
„Ach“, antwort die andere Mutter, „das ist doch gar nicht die Frage. Die Frage ist doch, was sie hätten anderes machen können? Mein Sohn wollte zuerst immer Polizist und dann Chirurg werden!“
„Und meine Tochter Schlagersängerin! Das ist genauso absurd wie ihr Wunsch, einmal ein Kind zu bekommen“, ergänzt die andere Mutter.
Und dann lachen die beiden Frauen sehr herzhaft.
Die Mutter verabschiedet sich schnell. Von den Wünschen des jungen Mannes erzählt sie nichts. Auch nicht von ihren vielen Kämpfen, wenigstens einen Teil davon Wirklichkeit werden zu lassen. Und auch nicht, dass sie niemals zugelassen hatte, dass irgendjemand seine Wünsche „absurd“ nannte.
01.02.2021
Wünsche – Zwischen Inklusion und Nixklusion (kirstenmalzwei.de)
Nach der Schulzeit
DAS MÄDCHEN ist im Abschlussjahr.
Aber: Wie geht es dann weiter nach der Schule?
Das Arbeitsamt sagt: Eine Ausbildung kann das Mädchen nicht schaffen.
Der Fachdienst sagt: Für eine berufsvorbereitende Maßnahme ist das Mädchen zu schwach.
Die Lehrer sagen: Auf dem ersten Arbeitsmarkt sehen sie das Mädchen nicht.
Der Schulrat sagt: Eine weitere Verlängerung der Schulzeit kommt nicht in Betracht.
Alle sagen: Das Mädchen muss in die Werkstatt!
Die Mutter berichtet dies in der Elterngruppe.
Da meldet sich eine andere Mutter zu Wort: „Du musst gar nichts!“, sagt sie, „und deine Tochter auch nicht! Sie hat ihre Schulpflicht erfüllt. Sie kann gar erst mal einfach nur abhängen, so wie viele andere Kids auch. Sie kann ein Praktikum machen. Oder ins Ausland gehen. Oder ihr nehmt sie mit auf Weltreise…!“
Die Mutter lächelt und schweigt.
Dann sagt sie stockend und leise: „Das ist mir jetzt echt ein bisschen peinlich… Aber ich habe das mit dem „sie muss…“ so oft gehört, dass ich doch tatsächlich davon ausgegangen bin, dass es in Deutschland so etwas wie eine Arbeitspflicht für Behinderte gibt!“
07.01.2019
Nach der Schulzeit – Zwischen Inklusion und Nixklusion (kirstenmalzwei.de)